§1 - "Vegane" Argumente - Der Mensch hat doch schon immer ...

§1) Der Mensch hat aber schon immer Fleisch gegessen.

Argument des Fleischessers: „Der Mensch hat aber doch schon immer Fleisch gegessen (und schon immer Milch getrunken“).

Habitus: Diese Aussage, man möchte sagen: Behauptung, hört man als Veganer nicht nur oft, sie ist auch häufig das erste oder letzte „Argument“, was in einer Fleisch-Ja-Nein-Vielleicht-Debatte gebracht wird. Am Anfang wird es oft gebracht, um sich jeder sachlichen Diskussion von vorneherein zu entziehen. Am Ende wird es gebracht, quasi als „Master-„Argument““, um seine Verzweiflung und „Ent-Täuschung“ zu vertuschen oder die eigene Verdrängung in Stand zu halten.

Eigentlich möchte man als Veganer und rational denkender Mensch erst gar nicht auf solch ein „Argument“ eingehen und antworten, damit läuft man aber wiederum Gefahr beschuldigt zu werden, sich dem „Diskurs“ zu entziehen.

Gegenargumente:

α) Zeitlichkeit und kein Argument in Sicht

Allerdings handelt es sich bei dieser Aussage tatsächlich um eine Behauptung. Argumente sind Argumente und damit keine Behauptungen, da Argumente begründete Behauptungen sind und Behauptungen unbegründete Argumente. Es ist schlichtweg nicht möglich zu überprüfen, ob dieser anthropologische Firlefanz wahr ist oder falsch. Daher lässt sich diese Aussage des Fleischliebhabers nicht begründen. Was sich nicht begründet lässt, dass gehört in den spekulativen Raum und ist daher in einem argumentativen Diskurs fehl am Platz. Es handelt sich hierbei auch um keine wissenschaftliche Aussage, da sie sich wissenschaftlich nicht überprüfen lässt, sie hat strenggenommen einen Informationsgehalt von „0“ (sie ließe sich höchstens falsifizieren, wenn man die Möglichkeit hätte in die Vergangenheit zu reisen, aber in welche Vergangenheit? Wie lässt sich wissenschaftlich-methodisch gewährleisten, das eine Reise in die Vergangenheit auch gebrauchbare Erkenntnisse zu Tage fördert (Der Reisende könnte z.B. feststellen, dass am Angang der Zeit Veganer und Fleischesser lebten, dies aber bewusst verschweigen und nur die Fleischfresser befragen.) In diesem Fall müsste man aber auch vorher klären, welche Bedeutung insgesamt die Vergangenheit für die Gegenwart hat; Siehe Induktionsproblem).

 Das Argument, welches also keines ist, ist hier also jetzt schon disqualifiziert. Als Fakt habe ich in der Einleitung bestimmt, was ein Sachverhalt ist, der wahr, anerkannt und nachweisbar ist. Dem ließe sich freilich hinzufügen, dass sich ein Fakt, eine Tatsache oder eben auch ein Sachverhalt auf die Vergangenheit beziehen lässt, wie es z.B. bei Rechtsfällen der Fall ist. Dennoch muss ich aber leider feststellen, dass sie diese Aussage nicht nachweisen lässt. Wie soll sich dies nachweisen lassen? Unser kulturelles Gedächtnis reicht nicht so weit zurück. Auch bleibt unklar „wie weit“ diese Frage in der Zeit gehen müsste, um sie zu beantworten. Was ist mit Vergangenheit gemeint? „Der Mensch hat schon immer“ – was ist mit „hat schon immer“ gemeint? Meint man hier so etwas wie der erste Mensch? Diesen ersten Menschen, der ohnehin nur eine Konstruktion der Gegenwart ist, können wir nicht aber nicht fragen was er isst. Selbst wenn wir diesen ersten Menschen aus Fleisch und Blut vor uns hätten und ihn fragen könnten. Wenn er tatsächlich bestätigen würde, dass er Fleisch ist, was können wir dann daraus schließen? Was, wenn das Gegenteil eintrifft: Der erste Mensch stellt sich als veganer heraus, hören dann alle Fleischesser auf sofort Fleisch zu konsumieren? Wird dann die Rede davon sein, dass erste der „zweite“ Mensch mit dem Konsum von Fleisch angefangen hat, und damit den ersten, „veganen“ Mensch verdrängt hat? Ich hoffe man sieht hier, dass dies zeitlich-genau zu klären unmöglich ist.

Populär gesagt: Der Bezug zur Vergangenheit ist spekulativ betrachtet spannend, argumentativ gesehen aber schwach und zudem auch quatsch. Nur weil ich gestern etwas so und so gemacht habe, heißt es nicht, dass ich es heute genauso zu machen habe. Wenn mein Vater Briefträger war, kann ich daraus auch nicht ableiten, dass ich Briefträger werden muss. Wir haben es hier mit einer dogmatischen Attitüde zu tun – mehr nicht. Solch eine Attitüde zeugt von einer Blindheit für die Reichhaltigkeit und Alternativität der Gegenwart. Diese Sichtweise ist allerdings extrem bequem, da sie sich um eine Beschäftigung mit Argumenten umherschleichen kann, man muss keine Gründe für sein Verhalten angeben bzw. Suchen und kann sich so auf allgemein bekannte Ausreden stützen, und erklärt vielleicht daher die gedankliche Bequemlichkeit vieler Fleischesser. Der Fleischesser, der – wie in der Einleitung erklärt – so ernsthaft „argumentiert“, sagt mehr über seine Sichtweise aus, als über die Debatte. Nun, was soll man da noch zu sagen, außer: Er teilt sich halt gerne mit.

β) Spekulation

Nun, wenn der Fleischesser einen spekulativen Raum betreten möchte, indem er wohl von einem ersten Menschen ausgeht, der schon immer Fleisch gegessen hat, dann können auch wir diesen Raum betreten, Philosophen haben diesen Raum ja schließlich für sich gepachtet, und auf die Fehler hinweisen, die uns entgegenglotzen. Ich möchte hier vor allem Fragen aufwerfen, die keiner beantworten kann. Diese Fragen sollen aber verdeutlichen, dass es schwachsinnig ist anzunehmen, dass der erste Mensch ein Fleischesser oder ein reiner Pflanzenfresser war. Und das es logisch unmöglich ist, dass er ein reiner Fleischesser war.

  • Wir stellen uns also einen Menschen vor, der alleine irgendwo vor unserer Zeit „haust“. Auch wenn wir empirisch nicht untersuchen können, ob es möglich ist, ein Mammut oder ähnliches „Fleischprodukt“ zu jagen und zu töten, nun, wir unterstellen das jetzt einmal so, wir können ebenfalls nicht überprüfen, ob dieses einsame Individuum das Mammut gleich roh aß, vorstellen kann ich es mir aber nicht. Weitaus wahrscheinlicher ist es, dass solch ein Tier in einer Gruppe von Menschen gejagt wurde, wenn es denn gejagt wurde. Der erste Mensch kann somit kein Einzelner sein. Wer würde dem nicht zustimmen?
  • Wir stellen uns also den ersten Menschen als Homo socialis vor. Um ein Tier wie ein Mammut in  einer Gruppe jagen zu können, braucht der Mensch ein Sozialvermögen. Sozialvermögen fällt sicherlich nicht vom Himmel, darüber sollten sich die streitenden Parteien einig sein. Dafür braucht es wiederum Zeit und andere biologische und strukturelle wie neuronale Voraussetzungen. Der erste Mensch ist schlichtweg nicht in der Lage irgendwas systematisch zu jagen, zu töten etc. Die Rede soll hier nicht von affektiven Handlungen sein (Ehestreit gab es vielleicht auch schon unter den ersten Menschen). Der erste Mensch als Vorstufe des Homo socialis ist somit einfach zu dumm, um ein Mammut zu erlegen oder an Fleisch zu kommen. Hierbei bleibt die Frage, ob der erste Mensch in der Lage war ein tot aufgefundenes Tier – ohne handwerkliches Geschick und Artefakte, d.h. Werkzeuge  – zu essen, also roh zu verspeisen, ohne es in irgendeiner Art vorher zu „bearbeiten“ (das Fell abzutrennen), denn dafür bräuchte man wohl wieder Wissen, sprich eine Gemeinschaft – Wer soll es ihm gelehrt haben? Ich denke nicht, dass er alleine auf die Idee gekommen ist, aus welchen Rohstoffen man auf welche Arte Werkzeuge herstellen kann, um dann damit auf eine bestimmte Art und Weise ein bestimmtes Tier oder sonst was zu arbeiten. Dies Alles sind schon kulturelle Aspekte. Ein Individuum hat keine Kultur. Nur ein Individuum als Teilhaber einer Kultur hat eine Kultur – eine kulturelle Identität.
  • Auch als Gruppe, die erste Menschengruppe, kann ich mir nur schwer vorstellen, wie sie in der Lage waren Werkzeuge zu bauen, was sicherlich seine Zeit brauche, um dann damit ein Tier wie ein Mammut zu jagen, was sicherlich noch mehr Zeit brauchte. Schließlich reden wir hier vom ersten Menschen als ausgewachsenem Wesen, also nicht von jagenden Säuglingen. Wie ist der Mensch also an das erste Fleisch gekommen. Woher hatte er die Muskeln und woher die Ausdauer ein Mammut über mehrere Stunden, ja, vielleicht sogar Tage, Wochen und Monate zu jagen, woher die Kraft? Natürlich von vorhandenen Kadavern, brüllt jetzt der Fleischliebhaber! Und woher die Werkzeuge? Woher das Wissen? Ich es nicht vielleicht doch eher unnatürlich gewesen, andere Lebewesen zu „bearbeiten“? War der „Jäger und Sammler“ nicht doch eher ein Sammler oder jedenfalls zuerst ein Sammler. Ich finde das allerdings äußerst bedenklich. Man kann nicht davon absehen, dass man erst pflanzliche Proteine braucht, um dann an tierische Proteine zu kommen, die ja letztlich auch nur umgewandelte pflanzliche Proteine sind, also pflanzliche Proteine in einem nicht-pflanzlichen Gefäß. Tierische Proteine wachsen nun einmal nicht an Bäumen, die ersten Menschen konnten sie nicht einfach pflücken. Wer ein „Steak“ wollte, der musste viel gestiegen Schmalz einsetzen und viel Energie aufwänden, aber auch sein Leben riskieren. Der musste aber auch viele Erfahrungen sammeln, der richtige Umgang mit Waffen ist nicht von heute auf morgen erlernbar. Eine Gruppe von Menschen, die einen Weg findet, sich über einen so langen Zeitraum zu ernähren und ein Sozialvermögen ausbildet, fängt nicht von heute auf morgen damit an Waffen zu bauen, um Lebewesen zu töten. Wer schon so ein komplexes Vermögen ausgebildet hat, ein verdichtetes Hirn erworben hat, was die Notwendige Bedingung zum Jagen wäre, fällt nur schwerlich in so ein Verhalten wieder zurück. Außerdem war und ist so eine Jagd sicherlich gefährlich. Falls Menschen gejagt haben, dann haben sicherlich auch viele Individuen solch einer anfänglichen Gruppe ihr Leben lassen müssen. Wer in der Lage ist zu jagen, und dies über körperliches und geistiges Geschick, der ist auch in der Lage einzusehen, dass solch ein Geschäft nicht lohnt. Mit solchen komplexen Entwicklungen, muss außerdem auch eine emotionale Entwicklung einhergehen. Ist es nicht denkbar, dass individuelles Lied über den Genuss von Fleisch gestellt wurde? Mal abgesehen davon, dass es mit dem Töten des Tieres nicht erledigt wird. Wie hat man gelernt an das Fleisch zu kommen? Dafür muss doch dem menschlichen Hirn im Vorfeld viel Fett zugeführt worden sein. Denn ohne Fett entwickelt sich gar nichts im menschlichen Hirn. Die Sippe konnte sicher auch nicht alles auf einmal essen. Es gab keine Möglichkeit Reste aufzubewahren. Und ein erlegtes Tier hat vielleicht andere wilde Tiere angelockt. All diese Vermutungen deuten darauf, dass sich für die ersten Menschen die Jagd nicht gelohnt hat. Wie war es möglich, dass die ersten Menschen das tierische Protein überhaupt verdauen konnten? Müssten sie nicht aufgrund heftiger Magenkrankheiten leichte Beute für andere Raubtiere gewesen sein? Wie konnten die ersten Menschen überleben? Doch nur, weil intelligent genug waren, nicht zu jagen? Es gab natürlich ein besonders männliches Individuum, dass so viel Fleisch aß, dass es dadurch lernte, das Fleisch zu verdauen und daher so viel Fleisch essen konnte, dass es deswegen besonders viele Nachfahren zeugen konnte, die dann auch besonders gut Fleisch verdauen konnten. Wer glaubt so etwas ernsthaft? Es ließe sich noch ewig weiter spekulieren.