Kulturphilosophie: Innen, Außen und das "Dazwischen" bei Oswald Schwemmer

07.10.2014 00:48

Kulturphilosophie: Innen, Außen und das "Dazwischen" bei Oswald Schwemmer

 

Die Idee der Kulturanthropologie und Kulturphilosophie fußt auf der Idee des objektiven Geistes. Was es damit auf sich hat, wird in den folgenden drei Abschnitten klar werden. Die dabei vorausgehenden Dimensionen sind der Körper, der leib und der Geist, die nun eine Erläuterung finden wollen.

Der Mensch hat nicht nur eine leibliche und eine geistige Existenz, er hat auch ein komplexes Innenleben, er hat Phantasie und seine Vorstellunskraft. Diese Kräfte, welche die Basis einer jeden Kultur bedeuten, und Welten sind eingelagert in eine Welt des Außerhalbs: Es ist die physische Welt. Und da es diese zwei Welten (innen und außen) gibt, so gibt es auch eine Relation zwischen diesen Welten: Das Dazwischen. Daher wird sich zeigen, dass der Mensch nach Schwemmer im doppelten Sinne ein Wesen der Zwischenexistenz darstellt. Wie diese Begriffe zusammenhänge möchte ich im folgenden zeigen und diskutieren. Beginnen möchte ich mit dem komplexen Innenleben des Menschen. Danach möchte ich mich dem widmen, was Schwemmer "Außenwelt" oder "Gegenstandswelt" nennt. Abschließen möchte ich mein Vorhaben mit einer Untersuchung des Begriffes des "Dazwischen".

a) Der Mensch und die Innenwelt

 Ausdruck ist für uns Manifestation von Erlebtem.[1]

Der Mensch als ζῷον πολιτικόν (Zóon politikón) drückt sich aus, er hat damit Gefühle, Gedanken, Erinnerungen und Erwartungen, oder anders gesagt: ein Innenleben. Diese Empfindungen sind innerliche Empfindungen, die zu jedem Zeitpunkt seiner Existenz stattfinden: Äußere Empfindungen gibt es nicht, da sie, die Empfindungen, dem Bewusstsein immer immanent sind. Jede Sekunde meines Lebens fühle ich etwas und drücke dieses Fühlen auch mehr oder weniger aus, ob ich dies will oder nicht. Besonders deutlich wird dies bei der Scham.[2] Wobei man das „Rot-werden“ als Affekt des Körpers nicht eins zu eins in Scham übersetzten kann, da es sich – nach Hans Lipps – um ein Verhalten handelt.[3] Ausdruck ist nicht gleich Ausdruck, obgleich jedem Menschen die Fähigkeit inne wohnt ein Gesichtsausdruck zu interpretieren oder ein Straßenschild zu verstehen – die Rationalität dieses subjektiven Leistungsaktes bleibt objektiv. Ein Symbol in diesem Sinne, ist ein Symbol, unabhängig davon, ob es sich um eine Realisierung durch den menschlichen Körper handelt oder durch ein Artefakt.[4] Primär betrachtet, ist es das Fühlen, das den Mensch als kulturelles Wesen zum Subjekt, d. h. erst einmal zum Subjekt des reinen Empfindens macht (wenn er selbst als Subjekt nicht darüber nachdenkt). Freilich kann der Mensch als Subjekt sich (selbst) zum Objekt (sowie ebenfalls vom anderen) machen, wenn er die „Erlebnisebene“ verlässt oder einfach nur den Gedanken „Ich bin ein Medium“denkt.                                                                                                                                                          Zunächst betrachtet ist der Mensch ein Wesen, das Gefühle hat. Denn hätte er keine, müsste bzw. könnte er diesen Gefühlen und Emotionen keinen Ausdruck verleihen. Einen leeren Ausdruck gibt es nicht: Leere ist die Abwesenheit von Ausdruck, ergo: ausgedrückte, verdeutlichte Leere. Tatsächlich drücken wir uns infolgedessen ständig aus: So wie der Mensch sich nicht nicht verhalten kann, kann er auch nicht den dazu vollziehenden Ausdruck unterdrücken. Es sei denn natürlich, jemand ist ein Profi in Sachen Schauspiel oder Betrug. Plessner spricht diese „Ausdrucksgebäreden“, die für seine Anthropologie fundamental sind, auch den Tieren zu[5], wobei diese mit Signalen operieren, diese sich aber nicht – und schon gar nicht als Symbole – manifestieren. Sie spielen und modifizieren vorgefertigtes, vererbtes Verhalten ab.[6] Auch Schwemmer sieht dies:

Erst dort, wo sich eine Form darüber hinaus ausbildet und verfestigt, ist eine Äußerung als diese oder jene identifizierbar. Dies gilt auch für tierische Äußerungen. Das Bellen des Hundes bei der Ankunft seines Herrn besitzt zum Beispiel eine andere Form als das beim Nahen eines Fremden.[7]

Der Mensch ist hiernach unweigerlich mit seinen Ausdrucksgebärden verbunden. Ohne Gesten und Mimik wären wir im Alltag nich in der Lage Daten zu Informationen zu erheben und zu sortieren, um zu interpretieren. Wir sind Interpreten und dabei auf unsere Leiblichkeit und den Körper des anderen angewiesen. Bei Menschen spielt der Leib ebenfalls eine primäre Rolle: Das leibliche Erleben und Wohlbefinden – oder eben das Gegenteil dessen. Diesem subjektiveren „Existieren“, komme demnach eine leibliche Komponente hinzu. Dieses „Innen“ wird von Schwemmer sowie anderen Philosophien, wie z.B. Plessner, der von einer („kulturellen“) „Verschränkung“[8] spricht, als „Innenleben“ oder „Innenwelt“ bezeichnet. Diese besondere und komplexe Welt, die anderen Menschen nicht offen oder direkt zugänglich ist, da sie per se unsichtbar ist – steht im Zusammenhang zur Außenwelt. Der Begriff der „Außenwelt“ wird im nachfolgenden Kapitel erläutert. Natürlich kann man in den meisten Situationen ein Gesicht „lesen“, weil der Mensch unmittelbar ausdrückt, wie er sich befindet oder ob ihm gerade etwas gefällt bzw. missfällt. Doch das, was mit „Innenwelt“ gemeint ist, ist reichhaltiger, genau wie Schwemmers Begriff des „Geistes“. Denn gemeint ist auch das, was sich in uns abspielt, und was wir nachzuvollziehen versuchen, wenn wir still in uns hineinhorchen, meditieren[9] oder wir uns ganz auf uns selbst konzentrieren; das, was sich ebenfalls in uns „abspielt“, wenn wir z.B. ein Kunstwerk betrachten (bis hin zur „ästhetischen Kontemplation“[10]), oder einfach nur passiver Beobachter eines Ereignisses sind. Schwemmer nennt dieses „Spiel“ des Inneren „Imagination“[11]. Hier liegt auch die „Quelle“, wie er sich ausdrückt, für die durch Symbole konstituierten Symbolsimsen und damit die auch die Notwendigkeit für Ausdrücke und Prägnanzen. Jeder Ausdruck, jede Mimik, jede Geste, ob ich die Augen rolle oder die Arme verschränke, ist schon ein Symbol unter anderen: „Die Wörter unserer Sprache und auch schon die Laute in den Wörtern, die Bilder, die uns umgeben, ebenso die Ausdrucksformen unserer Mimik, Gestik und Körperhaltung - all dies sind Symbole.“[12]

Durch die Einbildungskraft respektive Imagination[13] und später auch andere Akte des Geistes kann überhaupt erst etwas produziert werden, was dann, in einem zweiten Schritt „ent-äußert“ bzw. hervorgebracht (auch im heideggerischen poesis-Gedanken), an die Oberfläche gebracht werden kann. Auch bei Kant und Hegel sowie der transzendentalen Philosophie, wie Schwemmer oft einbringt, ist der Begriff der Einbildungskraft ein wichtiger. „Sie [die Imagination] ist es nämlich, durch die der Funktionskreis von Merken und Wirken, von Wahrnehmen und Verhalten zuerst durchbrochen wird, und mit der der Aufbruch zur Menschwerdung beginnt.“[14]

Unsere Erlebnisse verarbeiten wir durch die Produktivität des Geistes und speichern diese ab: Erlebnisse werden somit zu Erlebtem, zu geistigen Kapital oder zu Geschichten, die uns wiederfahren sind, die wir nun wieder hervorholen, wachrufen, ausdrücken und mitteilen; andere daran teilhaben lassen können. Als Manifestationen kann der Mensch sein Erlebtes ausdrücken (als Kunstwerk oder als Information, Hinweis, Äußerung, performative Äußerung oder eben Laut – durch Sprache – veräußerlichen). Damit lebt der Mensch immer in einer „Spannung zwischen Innen und Außen“[15]: Dies wird noch deutlicher, wenn wir den nächsten großen Schritt betrachten, den Schritt zum reinen Ausdruck, an dem nicht mehr der ganze Körper beteiligt ist, sondern der in und mit einem Medium entsteht, einem Medium, das nur ihm zugehört und für ihn – weil mit ihm – geschaffen ist. Dieser reine Ausdruck ist der symbolische und vor allem anderen der sprachlicheAusdruck.[16]                                                                                                                                               „Innen-Welt“ ist der Gegenbegriff zur „Außen-Welt“. Die Innenwelt ist ein wichtiger Begriff sowie ein Phänomen, das grundlegend für Cassirers terminus technicus ist. Also handelt es sich bei Symbolismen bzw. Repräsentationen von „Innerem“, egal ob schematisch oder konkret, auch immer um eine extreme Vereinfachung der Erfahrungswelten des Menschen.[17]

 


[1]Schweppenhäuser, 133.

[2]„Auf meinen Körper vor allem sind die Blicke der anderen gerichtet, und deshalb reagiert man in beschämenden Situationen vor allem auch körperlich: mit Erröten, mit Erblassen, mit weichen Knien, mit Zittern mit Fluchtwünschen etc..“, Christine, Pernlochner-Kügler, Körperscham und Ekel – wesentlich menschliche Gefühle, Lit Verlag Münster, 31.

[3]Anders als bei Schwemmer werden Affekte nach Lipps in eine bestimme Haltung übersetzt. Schweppenhäuser, 145.

[4]Vgl., Schwemmer, Die Macht der Symbole, 1.

[5]Ich meine hier Katzen, die z.B. einen Buckel machen oder Hunde, die ihre Ohren aufrichten und damit – wahrscheinlich unbewusst – etwas signalisieren, Schweppenhäuser, 139.

[6]Schweppenhäuser, 137.

[7]Schwemmer, Die Macht der Symbole, 2, online veröffentlicht, https://www.bpb.de/apuz/29747/die-macht-der-symbole?p=1, Stand: 28.06.2014, (23:16 Uhr).                                                                                              

[8]Plessner, 1975, 152.

[9]Freilich ist der Begriff der „Mediation“ (gr. μέδομα, (nach)denken, sinnen und nicht lat. Vermittlung)  oder des „Meditierens“ hier besonders spannend, beschreibt er doch eine Technik des Bewusstseins, des „bewussten Aufmerkens“ auf sich selbst, ohne sich an den Dingen der Außenwelt zu orientieren, die vor allem auch als Bestandteile von Titeln in der Geschichte der Philosophie zu finden sind (Betrachtungen, Mediationen).

[10]„In dieser ästhetischen Haltung widmen sich die Betrachtenden ohne Handlungsziele und ohne vorgefasste Intentionen ganz den Objekten bzw. den Personen oder Ereignissen, die sie anschauen bzw. erleben.“ Schweppenhäuser, 2007, 22.

[11]Schwemmer, 1997, 28.

[12]Schwemmer, Die Macht der Symbole, Einleitung, 1.

[13]Imago, Lat. für „Bild“.

[14]Schwemmer, 1997, 24., [Ergänzungen durch  P. P.].

[15]Schwemmer, 1997, 28.

[16]Ebd.

[17]Ebd., 149.

b) Der Mensch und die Außenwelt

 

Es gibt keinen Sinn außerhalb einer sinnlichen Verkörperung. 1

 

„Ausdruck bedarf der Äußerung.“2 Wo soll sich dieses „Aus-drücken“, dieses „Ereignis der Form“, wie Schwemmer nicht müde wird zu betonen, ereignen, wenn nicht in der „Außen-welt“? Erst in der Außenwelt schaffen unsere Symbole eine Differenz als Manifestation und bilden oder produzieren somit einen wahrnehmbaren Fixpunkt.3 Wenn wir aber persönlich etwas zum Ausdruck bringen wollen, tun wir dies in Formen, die wir nicht selbst geschaffen haben. Wir artikulieren uns in einem Reich des bereits Artikulierten.4 Der Mensch als Ausdruckswesen muss (objektive) Symbole verwenden, um handeln zu können: Zeichensysteme sind „Bedingung der Möglichkeit unserer Welterfahrung und unsere Weltverhältnisses.“5 Die Außenwelt, und damit die kulturelle Sphäre des Menschen, das „Mitsein“, ist der Ort, an dem sich Ausdrücke ereignen – und zwar so, dass sie theoretisch von jedem zu jeder Zeit wahrgenommen werden könnten. Unsere Erfahrungen drücken wir in dieses Sphäre objektiv aus, objektivieren uns durch sie und gleichzeitig in ihr und machen damit die Kultur zu unserer „zweiten Haut“:

 

Der Mensch erscheint als das Wesen […], das sich entäußert und eine Vielzahl von Wirklichkeiten schafft, um sich angesichts dieser Objektivationen über etwas zu identifizieren, das von ihm hervorgebracht worden und doch von ihm verschieden ist.6

 

 

Dabei gebraucht der Mensch sein mediales Bewusstsein und andere Medien, die, je näher sie seinem Körper stehen, desto unsichtbarer sowie selbstverständlicher sie für ihn sind. Aller Gebrauch führt aber zu einer Selbstbildung, immer in Rückkoppelung mit der Welt, d. i. Kultur. Dieser ewige und reziproke Prozess, dieser hermeneutische Zirkel – wenn man so will – der Selbstauslegung ist gleichzeitig auch eine Auslegung der Welt, eben eine gegenseitige Formung und „In-form-ierung“. Der Mensch ist immer an die Welt gekoppelt, wenn er etwas in Erfahrung bringen will. Schwemmer benennt diese Welt, die sich außerhalb und – durch den Leib – in Bezug zu uns abspielt, diese Außenwelt, auch als „Welt der Gegenstände“.

 

In unseren alltäglichen Lebenszusammenhängen erscheint uns die symbolisch aufgebaute bzw. erschlossene Welt als die Wirklichkeit, mit der wir es zu tun haben. Dabei sind es im übrigen gerade die symbolisch erzeugten Strukturen – wie die Prägnanz der unterscheidbaren Formen und die dadurch erreichte Klarheit und Deutlichkeit der Gegenstandsordnung -, die uns den Wirklichkeitscharakters unserer Erfahrung beglaubigen.7

 

Die Menschen verinnerlichen somit fortwährend: Wie anders aber verhält es sich, wenn Menschen die Wirklichkeitserzeugungen den Medien überlassen? Wenn sie sich anstatt an der Welt abarbeiten, an bloßen Darstellungen, vermittelten Bildern von der Welt abarbeiten oder eben fast nur noch permanent von den „Imitaten“ - wie Schwemmer sie nennt – abgelenkt werden? Ändert dies nicht auch, wenn man weiter denkt, die Art und Weise, wie Menschen wahrnehmen? Was sie für »wahr« halten? Denn:

 

Die Wahrnehmung ist eine Leistung, besser: ein Geschehen, das aus einem komplexen Zusammenspiel des lebendigen Körpers und seiner Organe auf der einen und der Weltverhältnisse in der Wahrnehmungssituation auf der anderen Seite zu Stande kommt.8

 

 

 

 

 

 

Durch die symbolischen Formen, die unser Selbst – und damit unsere Identität – gewährleisten und eben formen, kann der Mensch aus seiner komplexen und manchmal auch überkomplexen Gefühls- und Innenwelt sowie dem Fluss des Bewusstseinsstroms, erlebt in der Alltagswelt oder der Welt der Gegenstände, denn mit unserem Körper stehen wir ja in dieser Welt, heraustreten, sich selbst Gewiss werden und für „Ordnung“ sorgen: „Die symbolische Befestigung der fließenden Gefühls- und Bewusstseinswelten schafft Konturen, gibt uns eine geistige Gestalt, mit der wir uns in der Welt präsentieren und uns zu einem Selbst gestalten können.“9

1Jacoby, 275.

2Schwemmer, Die Macht der Symbole, Form und Sinn, 2.

3Hier könnte man mit Nietzsche, der nicht unwichtig für Schwemmers Gedanken zur Identitätsbildung ist, und seinem Begriffspaar des „Apollinischen“ und des „Dionysischen“ folgendes sagen: Das Fluide und nicht Fassbarere sowie Reichhaltige bis Unbewusste unserer Existenz – das Dionysische – kann in der Außenwelt als manifestiertes, objektives, geronnenes sichtbar und erfahrbares als kulturelles Symbol – das Apollinische – zum Ausdruck, zur Persona (Maske) gebracht werden.

4Schwemmer, Die Macht der Symbole, 3.

5Sybille Krämer, 23.

6Konsermann, Kulturphilosophie – zur Einführung, 37.

7Schwemmer, 1997, 86.

8Schwemmer, 2005, 28.

9Schwemmer, Mischkultur und kulturelle Identität, Einige Thesen zur Dialektik des Fremden und Eigenen in der Einheit einer Kultur, online veröffentlicht, 2002, https://www.iablis.de/iablis_t/2002/schwemmer.htm, Stand: 04.07.2014, (15:03 Uhr).

c) Der Mensch und das „Dazwischen“

 

Durch unsere leibliche Existenz stehen wir in verschiedenen Weltverhältnissen, die von Heidegger als in-der-Welt-sein und von Cassirer als unser Eingebundensein in eine Ausdruckswelt charakterisiert worden ist. […]. In diesem Umgang erschließen sich uns die grundlegenden Wirkverhältnisse unserer Welt.1

 

Dieses längere Zitat sollte verdeutlichen, wie schon bei vielen Denker vor Schwemmer, wie sich Bedeutungen aus einem „Sinnganzen“ und einem Kontext ergeben und, dass dazu auch die leibliche Existenz des Menschen gehört. Eine Bedeutung steht also niemals nur für sich allein und aus kulturanthropologischer Perspektive kommt so auch unserem Körper Aufmerksamkeit zu. Ist er es doch, der zwischen unserem Selbst und der Welt steht, aber auch vermittelt: Er ist in dem Sinne ein Mittler bzw. Mediator.

Das "Dazwischen" ist in diesem Kontext der spannendste Begriff, allerdings auch schwer zu erläutern, beschreibt er doch einen nicht fassbaren Prozess, der sich in jeden Prozess der Menschen einschleicht. Der Mensch steht der Welt nicht nur gegenüber, es gibt auch einen Zwischenbereich, er steht mit seinem Körper zwischen geistigen Artikulationen und den aus der Außenwelt entstehenden Wahrnehmungen.

Schon bei Plato und Aristoteles findet sich philosophiegeschichtlich das »Dazwischen«, das „Mεταξυ“ (metaxý bzw. metaxü), von dem sich der Begriff „Medium“ bzw. „Medien“ herleitet.2 Bei einem Medium, von „Medius“ für mittlerer, mittelteste, die (räumliche) Mitte und in der Mitte sich befindend3, abstammend, vollzieht sich immer eine Vermittlung zwischen A und B. So vollzieht sich auch immer eine Vermittlung zwischen unserem »Selbst« und der Welt über die leibliche sowie geistige Dimension unserer Existenz. Allerdings nicht nur: der Mensch - so Schwemmer - sei in einer doppelten Hinsicht durch ein doppeltes „Zwischensein“ charakterisiert.

 

Eine Ausführung dazu, die seine Gedanken zu seinem Medien- und Kulturbegriff ausbauen, lässt sich in seiner „Grundlegung“ finden. So sei der Mensch durch ein Zwischensein in verschiedenen Umwelten zu charakterisieren4 - was auch wichtig für Repräsentationen des Menschen sei:

 

Aber wir können uns eine wichtige Funktion dieser Zwischen-Realität verdeutlichen. Diese besteht in einer elementaren Repräsentationsleistung, einem Gegenwärtigbleiben und Vergegenwärtigen der Umwelten, in denen wir bis dahin existierten.5

 

Dieses „Zwischensein“ des Menschen findet sich als „organisches Zwischensein“ und als ein „Zwischensein der Wahrnehmung“ vor. Der Mensch ist nicht nur „interindividuell“ organisiert, sondern auch durch seine Existenz als Lebenswesen steht er in einem „wechselseitigen Bezug“ oder im Austausch zwischen einer „organischen Existenz“ und der physischen Welt – und damit weiterführend in einem stofflichen Austausch (Stoffwechsel).6 Leben lasse sich so als Gegenbegriff zur Technik, im Unterscheid zwischen „Organismus“ und „Maschine“, verstehen.7 Ein anderes Zwischensein spielt sich auf der Ebene der Wahrnehmungen ab. Schwemmer benennt die Fähigkeit des Wahrnehmens als eine Leistung:


Wir arbeiten uns in unseren Wahrnehmungen an dieser Umwelt gleichsam ab […] unser Wahrnehmen  [ist] in all seinen Phasen  ein Wechselspiel zwischen den Konfigurationen unserer Umwelt und den Konfigurationen innerhalb der vielfach verknüpften organischen und neuronaler Prozesse  […], die das 'materielle Substrat' unseres Wahrnehmens darstellen. Die Wahrnehmung ist eine Leistung.8

 

Jede Wahrnehmung besteht damit aus einem Verarbeitungsprozess zwischen der komplexen leiblichen und geistigen Existenz des Menschen. Die Kultur ist dabei der Ort der „Verschränkung“9 so Schwemmer – an dem Innenwelt und Außenwelt aufeinandertreffen

 

Die Kultur beginnt genau dort, wo der Mensch zum ersten Mal seinen Organismus überschreiten und sich eine neue Welt zwischen den Individuen aufbaut, eine Welt der materiellen Zeichen und Geräte, die fortan die Außenwelt seines Handelns wie die Innenwelt seines Denkens und Fühlens, seines Erlebens und Strebens prägen werden. Zugleich wird dabei aber auch in einem gewissen Sinne der Unterschied zwischen Innenwelt und Außenwelt aufgehoben. Vorwegnehmend kann man sagen, daß Kultur eben darin besteht die Innenwelt des Menschen aus seiner selbstgeschaffenen Außenwelt, als die Innenseite der Außenwelt, zu bilden und die Außenwelt als Präsentation, als faßbare Gegenwart der Innenwelt, als die Außenseite der Innenwelt, aufzubauen.10

 

Damit schließt sich auch hier durch das „Zwischensein“ der Kreis der Innenwelt und der Außenwelt, wodurch der Bildungs- und Formungsprozess des Menschen an der Welt durch Repräsentationen und eben durch das Verknüpfen von Repräsentation bzw. Symbolen über die grundlegende Fähigkeit des Menschen zum Ausdruck über die Objektivation zu Tragen kommt. Im nächsten Schritt möchte ich daher an der „symbolische Prägnanz“ das in diesem Kapitel ausgeführte auf den Punkt bringen.

 

1Schwemmer, 1997, 109.

2Hartmut Böhme nennt in seinem vielschichtigen Werk (und dies ist durchaus wörtlich zu nehmen), den Urstamm des Medienbegriffes bei Aristoteles: „Alle Netze weisen eine positionelle und eine dynamische Dimension auf, nämlich Knoten und Beziehungsmaschen. Letztere können unilinear oder multilinear sein: D.h. Netze sind Netze dadurch, dass sie gerade nicht Flächen decken oder Räume erfüllen, sondern sie heben sich von einem, 'Dazwischen' ab, das ein Nicht-Netz ist. Man kann es das Metaxü des Aristoteles nennen.“, Zur Theorie und Geschichte einer Konstruktion, Böhlau Verlag, Köln, 2004, 5.

3Erich Pertsch, Ernst Erwin Lange-Kowal, Langenscheidts Schulwörterbuch Lateinisch, 2001, 244.

4Schwemmer, 2005, 26.

5Schwemmer, 1997, 25

6Schwemmer, 2005, 27.

7Ebd.

8Schwemmer, 2005, 28.

9Schwemmer, 1997, 30.

10Schwemmer, 1997, 30.