Bilder, die nicht verblassen

27.01.2015 00:24

Bilder, die nicht verblassen

Marilyn Manson, “The Pale Emperor” (Vinyl, Limited Edition), 2015

 

„Keep your halo tight
One hand on the trigger, the other hand in mine ...“

Der „blasse Imperator“ oder „Kaiser“ besticht dieses Mal durch Bilder, gutes Songwriting und – hingegen jeder Erwartung – viel Farbe. Nachdem bereits viele Rezensionen am Tag der Veröffentlichung aus dem Boden sprießten, habe ich mir dabei Zeit gelassen. Vor allem die Texte haben mich beschäftigt.

Mit dem neunten Studioalbum der amerikanischen Band Marilyn Manson, benannt „The Pale Emperor“, stehen zwei Schallplatten und damit zehn neues Songs und drei Bonussongs (Akustik Versionen) zur Bewertung.                                                                                                                                            

Der neue Auswurf ist absolut tanzbar, eher ruhig und dennoch mitreißend, was mir persönlich Freude bereitet. Aber diese Freude findet sich auch auf anderen Ebenen wieder, besticht „The Pale Emperor“ zusätzlich durch Progressivität, was ich bei „Born Villain“ noch schmerzlich vermisste, und Abwechslung. Hierbei scheint sich der blasse Imperator am „Böse geborenen“ zu orientieren: Und dies nicht nur Textlich, sondern auch auf der reduzierten Klangsphäre. So finden wir mythologische Motive und vor allem Bilder, die auf „Born Villain“ („Your macbeth confessed oedipus no longer present-tense“) bereits angedeutet wurden, die weiterhin durch viele Samples und Synthies (die ein wenig sparsamer hätten eingesetzt werden können, doch dies soll nur eine kleine Kritik am Rande bleiben), die cineastisch anmutend sind, in Szene gesetzt werden. Das Album wird dadurch – textlich und auditiv – ein in sich stimmendes Konzeptalbum, das auf Vinyl bestens zur Geltung kommt – und ein düsteres, obgleich rhythmisches, kleines Kunstwerk. „Leichte“ Songs wechseln sich hierbei mit eher überstrukturierten Songs ab. Vom Sound erinnert der Longplayer auch an das Rockige bei „Eat me, Drink me“, hier vor allem das freche, eingängige und fetzige „The Devil Beneath My Feet“. Ich möchte nun kurz auf die einzelnen Songs eingehen. Das Bildhafte möchte ich dabei in den Vordergrund stellen.

 

1) Killing Strangers – 5/5*

...”Blow us a kiss, we'll blow you to pieces …”

Ein befremdlicher Opener! - Die Platte startet ähnlich wie auch schon das oft unterschätze „The High End of Low“ mit einem ruhigen, obgleich sich entwickelnd, ja, nahezu ausbrechenden Stück. Auch textlich bzw. thematisch sind sie sich nahe (in „Deep Six“ wird die kannibalische Analogie noch weiter getrieben): „I will blow your heart to pieces.“ Ungewohnt schleppend entfaltet dieser Song nach mehrmaligem Hören eine ungewöhnliche Sogkraft, der ich mich nicht entziehen kann. Und das, was Herr Manson da bei Minute vier und Sekunde fünfundfünfzig oral präsentiert, klingt einfach nur rau, impulsiv und frisch. Mir gefällt es. Ich würde sagen, wir haben es hier mit dem besten Opener zu tun, den die Band jemals zu bieten hatte, neben dem romantisch-epischen „If I Was Your Vampire“ und dem unvergesslichen „Great Big White World“ natürlich. Dabei repräsentiert der Song auf textlicher Ebene die Grundthemen der lyrischen Welt des Marilyn Manson: Gesellschaftskritik, vor allem die Amerikanische und die Gewalt durch Waffen (der naturalistische Höhepunkt hierbei ist „Cruci-Fiction in Space“), aber eben nicht nur. Damit steht der Inhalt des Songs – und die damit einhergehende Intention – im Zenit der Zeit. Schon die eine, sich immer wiederholende (das ist ein stilistisches Mittel und kein Zeugnis von kreativer Armut!) Textzeile („We're killing strangers, so we don't kill the ones that we love“), aus der sich sicherlich eine kritische Identitätsethik ableiten ließe, scheint mir fruchtbarer, als die aktuellen und hohlen Diskussionen, die sich eher vom Kern der Ursachen entfernen. Eine Gesellschaft braucht immer ein Feindbild, einen „Fremden“, und wenn es – die Geschichte zeigte es – Marilyn Manson selbst ist (ich bitte hier weder die Kunstfigur, noch die Band mit der Person zu verwechseln!). Ich finde es gut, dass Manson mit seiner Kritik an der Politik und an der Kultur nicht müde wird – ich werde es auch nicht. Unkritische Texte taugen höchstens zur oberflächlichen Kitschbefriedigung. Atemlose Beispiele aufzuzählen ist nicht nötig. Aber zurück zur Musik! Doch die (selbstkritische) Antwort darauf kommt prompt.

 

2) Deep Six – 4/5*

...'”You'd better watch yourself”…’

Die Dialogizität des Albums findet in „Deep Six“ ihren Anfang und Höhepunkt, welche sich eindrucksvoll mit den mythologischen Motiven verbindet (wer die Ironie nicht versteht, dem helfe das gelungene Video dazu). Der Song, ein in sich stimmiges, obgleich nicht gerade repräsentatives Stück, verbindet die alte Rauheit, nach der sich die ewig motzenden Fans der ersten Stunde zurücksehnen, mit Eingängigkeit und verführt zum Mitwippen, denn „Sin is sincere“. „Deep Six“ ist oberflächlich leicht zugänglich und treibend, doch eine nähere Beschäftigung lohnt sich, vor allem textlich betrachtet – obgleich der Song ein wenig zu glatt gerührt erscheint: Eine typische Singleauskopplung eben, die live sicher zünden wird.

 

3) Third Day Of A Seven Day Binge – 4.5/5*

...“We've only reached the third day of our seven-day binge
And I can already see your name disintegrating from my lips …”

Lippen sind wichtig! Man braucht sie aber nicht nur beim Trinken. Das Bild des Zersetzens und damit das Zweifeln am Medium der Sprache (und Schrift?) scheint zentral zu sein und schließt dadurch ebenfalls an die Thematik des Vorgängern an („Breaking The Same Old Ground“, „No Reflection“). Doch auch die erste Auskoppelung klingt zwar minimalistisch, aber nicht blass und ich kann auch hier leider fast nur die Bestzahl geben. Dröhnend und eingängig, doch gleichzeitig leicht progressiv, geht das Album mit diesem Saufgelage, welches stark an „Born Villain“ erinnert, weiter und begeistert durch tolle Lyrics, Ruhe und einen klaren Gitarrensound, der durch den dröhnenden Bass von Twiggy fundiert wird. Ein gelungener Mid-Tempo-Track mit unnötiger Steigerung am Ende. Ich bleibe lieber ein Opfer dieses Liedes, als ohne es zu sein.

 

4) The Mephistopheles of Los Angeles – 5/5*

...“Lazarus has got no dirt on me ...“

Ein weiterer Höhepunkt ist dieser düstere und progressive Song. Selbstreflexiv schildert uns hier ein „Ich“, wie es ist, der andere, der Fremde zu sein, der nichts Fremdes, besser Unbekanntes mehr an sich zu bieten hat. Alles liegt offen und wurde bereits thematisiert. Auch Lazarus, der Wiederkehrer, interessiert das nicht. Tolle Synthies, eingängige und ruhiger Strophen und ein aufbrausender und abgehender Refrain – ein Song, der nie langweilig wird. Erinnert mich irgendwie an „Nightcrawler“.

 

5) Warship My Wreck – 5/5*

...“Cannot say, I'm breaking the rules
If I can glue them back together …”

Mein Ohr klebt an diesem Lied. Im nächsten Wrack-Werk  nehmen uns Marilyn Manson mit auf ein Schiff: ein wunderbar epische und sich steigernde, wieder progressive Ballade, die an „Mechanical Animals“ und an „If I Was Your Vampire“ erinnert. Interessante Lyrics und emotional kaum zu überbieten. Man hört den Rost dieses kalten Wracks klirren, wenn es einen mit in die Tiefe reißt – und das tut es!

 

6) Slave Only Dreams To Be King – 5/5*

...“My Fibonacci blinded by your jealousy …”

Doch ein Lied über Sklaven, die König sein wollen – eingeleitet durch Mr. King – holt uns wieder in die hässliche Schönheit der Realität. Ist das zynisch gemeint? Dieser phänomenale Song ist ein Brett. Dieser Song ist ein Mysterium: dunkle und verspielte Lyrics, gespart mit einem harten Riff und schrillen sowie innovativem Geräuschkulissen, die an Mansons Klangspielerein in „The High End of Low“ erinnern (hier vor allem „I Want To Kill You Like They Do In The Movies“) und noch einmal hervorheben, was Marilyn Manson mit diesem Album an Atmosphäre erzeugen will. Die Oralität steht hierbei allerdings als Rede im Vordergrund, wird aber mit anderen Sound-Effekten vermischt. Treibend, progressiv und gleichzeitig nachdenkend sowie komplex ist dieses kleine Glanzstück. Dennoch kommt der Chorus wieder eingängig und keck daher. Auch stimmlich zeigt Herr Manson, wie schon bei „Killing Strangers“ zuvor, was noch so alles in ihm steckt. Mich wird dieses Brett noch lange beschäftigen. Ein Lied, das nie langweilig wird und das das coolste Gitarrenriff des Albums bereithält. Super Bridge – auch textlich („You are what you beat, yeah“) – und noch besserer Chorus! Auf jeden Falls das Highlight des Albums neben vielen anderen.

 

7) The Devil Beneath My Feet – 4/5*

...“ Don't want your God and His higher power
Want power to get higher ...“

Nun, Nietzsche würde sicher lachen.

Schon geradliniger und eingängiger geht es mit „The Devil Beneath My Feet“ höher bzw. weiter, weswegen es auch nicht viel zu sagen gibt. Textlich und auch vom Sound fühle ich mich in die herrliche Tanzbarkeit von „Eat me, Drink me“ versetzt – gemeint ist natürlich das herrlich-rockige „You And Me And The Devil Makes 3“. Hier hilft nur aufdrehen und abgehen (nebenbei im Auto hören ist nicht!). Stimmlich ist Manson bei diesem Stimmungsmacher wieder Top, auch der selbstironische Text gefällt: „ It's better to be blamed for robbing Peter Than guilty for paying Paul ...“.

 

8) Birds Of Hell Awaiting – 4/5*

...“The birds of Hell awaiting
With the wings on fire ...“

Dieser Song besteht nur aus einem einzelnen Bild und einer verdichtenden sowie spannungsgeladenen Atmosphäre. Und mehr braucht es auch nicht, denn er klingt schräg, sehr atmosphärisch und wie ein (schlechter) Drogentrip. Eine schrille und nette Abwechslung, fast schon kaum konsumierbar und gerade deswegen von imposanter Schönheit. Dennoch wird hier ein ins Ohr gehender Chorus geliefert. Allerdings wird das Wort „death“ so langsam recht inflationär gebraucht. Aber die grauen Kaiser scheinen auch nicht gerade unschuldig zu sein.

9) Cupid Carries a Gun – 5/5*

...“Pound me the witch drums …“

 

Ein Amor der mit Handwaffen „be-waffnet“ Amok läuft und Hexentrommeln: Ich mache es kurz: mehr braucht man nicht. Tolle Bilder, toller Text und super Stimmung sowie klarer und minimalistischer Gitarren-Sound sowie famoses Finale. Alles ist hierbei in sich stimmig. Vielleicht sogar der beste Song auf diesem Album. Dass der Beat von „Personal Jesus“ geklaut ist, lassen wir jetzt einmal so stehen. Schließlich ist es kein Diebstahl, wenn man bei sich selber klaut (auch von Recycling war bereits die Rede, also ein nachhaltiger Song?).

 

10) Odds Of Even – 3,5/5*

...“'Monsters, bring me to deafness!’ ...” 

Der letzte Streicht, der noch einmal die Dialogizität des blassen Imperator hinaufbeschwört, ist, wie so oft bei Manson, ein missratener Versuch „Coma White“ oder „Eat me, Drink me“ zu toppen – was unmöglich ist. „Odds Of Even“ ist für mich die ästhetisch-logische Schwachstelle des grauen Kaisers, bietet der Song doch wirklich nichts Neues und auch nichts, was dem Album gefehlt hätte oder es abrunden könnte. Letztlich der düstere Mittel-Part des Liedes überzeugt und berechtigt die Aufwertung. Thematisch sind wir hierbei wieder nahe an „Breaking The Same Old Ground“, was mich ebenfalls nicht überzeugt (auch mit „15“ lässt sich dies nicht messen). Auch textlich überzeugt mich der Selbsterkenntnistrip nicht, der wohl wieder an den Anfang des Albums anschließen will. Interessant bleibt aber die Textzeile aus dem von mir gelobten Mittelteil, der von Manson mit besonderer Dramaturgie eingesungen wurde: „No one is exempt from the odds of even.“ Falls jemand weiß, was das bedeuten soll, so lasse er es mich wissen. Hoffen wir mal, dass es sich nicht um anthropologische Banalitäten handelt.

Des Weiteren finden sich noch drei Akustik Versionen der Lieder 10), 4) und 3). Positiv hierbei ist, dass diese noch einmal extra eingespielt worden sind und nicht bloße Kopien, bei denen man digital eine Soundline variiert bzw. ausgetauscht hat. Sehr gelungen finde ich die Version von Lied 3). Diese Version klingt frisch und hier wird nicht einfach die andere Version nachgesungen. Auch erstaunlich ist, dass mir die Akustik Version von „Odds of Even“ besser gefällt als die Album Version. Allerdings frage ich mich, warum man bei der Reihenfolge der Lieder verpennt hat, dass „Odds of Even“ auf „Odds of Even“ folgt. Besser wäre gewesen, so finde ich jedenfalls, wenn man „Fall of the House of Death“ (Akustik Version Lied 3)) mit „Day 3“ (Akustik Version Lied 10)) getauscht hätte. Auch frage ich mich, ob die Störgeräusche bei letztgenanntem Song Absicht sind. Und da ich schon einmal am Meckern bin, noch besser gefunden hätte ich eine langsame Version von „The Mephistopheles of Los Angeles“ und eine schnellere Version von „Odds of Even“. Aber wer weiß, welche Klangfarben sich noch bei der anstehenden Tour ins Blasse mischen.

Zur Ausstattung: Gekauft habe ich zwei schicke Schallplatten, die weiß sind, damit bestens ins Albumkonzept passen und natürlich beidseitig abspielbar sind. Schick sind auch die Bilder auf den Platten, die sich fein mitdrehen. Der Klang ist wie er sein sollte. Zu finden sind weiterhin drei – eher schlecht als recht gedruckte – Kunstdrucke. Die Motive sind kunstvoll in Szene gesetzt und natürlich schwarz-weiß. Eines der Bilder zeigt Manson verhüllt, was ich mit dem Islam assoziiere und was daher wieder – so meine Interpretation – in die „Killings Strangers“-Thematik passt. Wer sich das an die Wand hängen will, kann das gerne tun. Was ich allerdings wieder nicht verstehe, ist, dass es, nachdem dies scharf an „Born Villain“ kritisiert worden ist, keine abgedruckten Lyrics gibt. Auch auf der Homepage ist dieses mal nichts zu finden (oder ich finde es nicht). Vielleicht liegt diese Fokussierung auf die von mir konstatierte Oralität und Dialogizität auch in der Intention der Musiker. Jedenfalls möchte ich nicht dran glauben, dass man aus Profitgier auf ausgedruckte Lyrics lieber verzichtet. Genauso wie ich nicht dran glauben will, dass die Homepagebetreiber zu faul dafür sind.

Alles in Allem ein sehr in sich stimmiges und abwechslungsreiches Konzeptalbum eines wohl zutiefst in sich gespalteten oder mit sich selbst redenden Herrschers, der Bilder zu vertonen weiß, das viele Highlights und wenig Ausfälle präsentiert, viel Spaß beim Hören liefert ohne einen emotionalen Tiefgang zu unterminieren, und den Sprung zwischen Eingängigkeit und Innovation schafft. Fünf von Zehn Liedern haben dabei von mir die Höchstbewertung bekommen, was, so glaube ich jedenfalls, für sich spricht. Mit der „Birds Of Hell Awaiting“-Metaphorik hat sich Marilyn Manson wieder einmal weiter entwickelt und zum neunten Mal neu erfunden, wobei für mich von Asche oder einem Comeback nicht die Rede sein kann – die Band war immer voll da, aus meiner Sichtweise, und die letzten Alben ebenfalls kleine Kunstwerke. Ich bin gespannt, ob ich „The Pale Emperor“ in ein paar Jahren noch immer so oft hören werde, wie heute, oder die Bilder doch verblassen werden. In dem Sinne: „Better pray for hell, not hallelujah.“