Anthropologie und Medien

12.07.2014 16:42

Seit Aristoteles, der Stoa, Fichte und spätestens seit den philosophischen Anthropologen, Heidegger, der Technikphilosophie sowie der jungen Kulturphilosophie denken wir über die Technik nach, genauer formuliert, über das Verhältnis des Menschen zur Technik. Der Mensch hat sich dabei vom Zoón logikon zum Homo medialis bzw. Animal symbolicum gewandelt. Heute ist die Rede vom Homo digitalis prominent. Was aber macht der Homo digitalis? Ist sein walten ein Tun, ein Stellen oder ein Hervorbringen? Diese Kategorisierung lässt sich einfach feststellen, doch der Unterbau dafür, das Fundament, ist erheblich schwerer zu verstehen.

Zunächst wollen wir dabei erst einmal einen Blick auf die Geschichte werfen. In den vielen Stimmen der Vergangenheit zum Thema Mensch und Maschine bzw. Mensch und Verlängerungen - der Mensch der das Werkzeug in die Hand nahm und so zum Erbauer von Welt, und man muss sagen künstlichen Welten, wurde, d. h. von Kultur, Mensch und Technik, ist es oft schwer gewesen, diese Vielzahl an polemischer Ablehnung und Verherrlichung von Technik bis hin zu den Computer Revolutionen, auf einen Nenner zu bringen. Nach einer langen und ausführlichen Betrachtung bin ich allerdings zu dem Schluss gekommen, dass es möglich sein Könnte - jedenfalls die negativen Aspekte - auf einen Nenner bringen zu können. Die positiven Aspekte stehen ohnehin in einer engen Verwurzelung zum Thema Freiheit, dass anthropologisch betrachtet nichtig ist und schlicht in eine andere Diskussion gehört, die m. E. auf Kants Postulat noch lange verweilen wird. Natürlich bietet z.B. das Internet eine Vielzahl von Möglichkeiten sowie ein Smartphone ein hilfreiches Werkzeug sein kann, im Mittelpunkt soll hier allerdings der Menschen stehen, der sich selbst in den eigenen Bestand gebracht hat bzw. gestellt hat, sich dabei aber immer noch verhält: Die Frage aber ist, wie er sich dabei ins Verhältnis setzt; Wie dieses Verhältnis betrachtet werden kann?

Oft wird in diesem Kontext von geistiger Verarmung geredet. Was oft dabei vergessen wird, ist die leibliche Existenz des Menschen (Schwemmer). Als Körper sind wir aber auch noch zusätzlich Ding neben anderen Dingen, Teilhaber einer „Dingwelt“ (in Anlehnung an Plessner). Unser Leib spielt dabei die psychisch-materialistische Vermittlerrolle innerhalb eines doppelten Zwischenseins, zwischen Ding- und geistiger Welt: Schließlich wurde der Mensch seit je her als geistiges Wesen – woran die Historizität sowie Sozialität hängt – bestimmt. Erst durch Schopenhauer und Fichte kam die Philosophie zu einer Leibphänomenologie. Auch Nietzsche und dann letztlich Freud, führten uns – auf wohl schmerzliche Weise – vor Augen, wie die leiblichen Angelegenheiten eigentlich das Sagen haben und unter welchem Deckmantel der Vernunft viel – zusätzliches – Leid in die Welt getragen  und ertragen wurde. Vor allem aber auch das Christentum verruchte, und das wissen wir durch Kierkegaard, den Körper – und damit den Ort unserer Existenz (wie Schwemmer sich auszudrücken pflegt) – zu unterdrücken, ja, zu unterjochen, und damit unserer Existenz nicht nur Schranken zu setzen, sondern uns Möglichkeiten auszureden (Selbstbestimmungsrechte) und ein Gewissen einzureden (psychologische Manipulation, Kriegsführung).  Dieses auf Symbole gestütztes Experiment, anders weiß ich es nicht zu nennen, konnte nur schief gehen: Das Fatale daran aber ist, dass es noch nicht beendet worden ist. Selbst im 21. Jahrhundert lebt die Unvernunft so dicht an der Vernunft – was auch immer das ist – wie noch nie. Immer wieder wird so unterminiert, dass unser Körper – und Leib – Vollzug, Erkenntnis und Ausdruck unsere Weltverhältnisse und damit von fundamentaler Wichtigkeit für unsere Existenz, und ich muss sagen, kulturelle Existenz ist, denn – um zum Anfang zurück zu kommen – auch unser Körper ist ein Werkzeug, oder wie Schopenhauer es zu sagen pflegte, „der Diener des Willens“. Werkzeuge und damit die Sprache und natürlich die Schrift, bestimmen von Anfang an das Vermittlungs- und Entwicklungsmoment der Menschheit, dass sich noch immer weiter aufbläst – wobei man sich hier die Frage stellen muss, ob von Entwicklung überhaupt noch die Rede sein kann. Nun stehen wir auch schon in der Bewegung, die ich hier versuche zu umschreiben: Der Mensch macht eine körperliche Bewegung von seiner leiblichen Existenz weg. Dies ist der Nenner den ich sehe, wenn es darum geht die anthropologischen Stimmen sowie alle anderen Bemühungen als Bestimmungen des Menschen unter Berücksichtigung der Technik, der Artefakte zu fassen. Dies muss nun wahrlich eine Erläuterung finden: Wir bleiben der Körperlichkeit angehaftet, ausgesetzt – ohne Frage – doch wir reduzieren dabei den Weg ins Innerliche, ins Geistige und Vergeistigte, und man muss hier betonen ins bereits Vergeistigte. Der Mensch ist und bleibt ein Ausdruckswesen. Wo etwas aus etwas heraus ausgedrückt werden kann, muss es ein Innen, ein Außen und eine Vermittlung zwischen diesem Innen – was die eigentliche, komplexe, und vor allem individuelle Sphäre unserer Existenz ausmacht – und dem Außen, den Dingen und Artefakten der Welt, d. h. Kultur geben. Schon immer stehen wir, oder besser gesagt, befinden wir uns – finden uns wieder – in Bezugsmomenten und in Zusammenhang stehenden, strukturell vorbedingten materialisierten und manifestierten Erzeugungen von Sinn – Bedeutungen. Die kognitiven Fähigkeiten, zur Erzeugen von Prägnanzen und die Interpretation von Weltdingen – in ihren komplexen Zusammenhängen – sind dabei die notwendige Vorrausetzungen um sich als Menschen in der symbolstrukturierten Welt zurecht zu finden, unserer Existenz eine Ausbildung von Artikulations- und Handlungsfähigkeiten zu ermöglichen – und darüber hinaus diese zu kultivieren. Außerdem letztlich auch um zu handeln. Erst an der Auseinandersetzungen zwischen mir – oder mit Fichte gesagt, Ich – und der Welt – oder mit Fichte gesagt, Nicht-Ich – bilden sich Formen heraus, die unser »Selbst« formen indem wir uns informieren, also im-form-ieren: Form in die Materie bringen. Was so viel heißt wie, wenn der Mensch seinen Hammer verwendet, um etwas zu erstellen, dann tut er das, um seiner Existenz willen, nämlich um ihr Ausdruck zu verleihen. Bei diesem Vorgang passiert viel. Auch wenn es banal klingt, es passiert dabei tatsächlich mehr, als wir zu fassen in der Lagen wären. Dieses Ausdrücken – durch Symbole – in die Kultur hinein, ist ein – mit Cassirer gesagt – vernünftiger und objektiver Prozess der alle Menschen, alle Kulturen, auch wenn dem ein anderes „Wie“ vorausgeht, eint – eben eine anthropologische Bestimmung. Wie „steht“ es heute um die Vernunft? Deutlicher wird es an einem anderem Beispiel: Die Schrift. Die Schrift, die die technische Seite der Sprache ist, wie Schwemmer sagt, kann verschieden eingesetzt, medialisiert und reproduziert sowie repräsentiert werden. Wir wollen jetzt nicht die verschiedenen Funktionen der Schrift aufschlüsseln, sondern nur die Bewegung verdeutlichen, die der Mensch macht, wenn er sich durch den Gebrauch von Werkzeugen, sich von seiner leiblichen – und damit geistigen – Existenz „ent-fern“. Handschrift vermittelt auf eine komplexe Art und Weise unsere Subjektivität und erzielt dadurch auch freilich eine „höhere“ Wirkung (Ingold). Sie hat das Vermögen bis hin in unsere individuelle Existenz vorzudringen bzw. die zu vermitteln, zu veranschaulichen, auszudrücken – wenn auch immer nur teilhaft, als existenzielles Fragment. Natürlich schreibe ich dabei mit einem Schreibwerkzeug, egal ob Fingerfarbe, Feder oder Kugelschreiber: Diese Hilfestellung bezeichnete man oft als Extension of Men, und wir im Deutschen oft am Beispiel der Keule als Verlängerung beschrieben. Eine Verlängerung ist aber etwas anderes als eine Verschiebung oder eben – wie sie heute oft beschrieben wird – eine Umwandelung bzw. Umspaltung (Heideggers „Ge-stell“-Begriff). Wenn ich mit einem Auto rückwärts einparke, dann verschieben sich die Grenzen meiner leiblichen Existenz, sie verlängern sich auf die materiellen Grenzen des Autos, was so viel heißt wie, dass ich mich über meine körperlichen Grenzen wahrnehme - transzendiere: So wird auch das Schreibgerät – als Verlängerung – zur zweiten Hand: Genau wie die Kultur – auf der Makroebene – zur berühmten „zweiten Haut“ des Menschen, der ja von Natur aus Kulturwesen ist (Plessner), wird. Das Schreibgerät wird zum Medium, gerade durch den Gebrauch (wie bei einer Landkarte (Krämer)) in einem Aufprall des medialen Bewusstseins des Menschen auf sein Ausdrucksverhalten hin. Jedes Wort, das zwar wieder nur ein hinweisendes Abstraktum auf  mein nicht zu erfassendes Innenleben bedeutet, wird so durch die flexible Tätigkeit meines Geistes in etwas verwandelt, was uns noch immer fragwürdig erscheinen könnte, aber längst – wie eben die Sprache – einer Gewöhnung anheim gefallen ist und – was wichtig ist – unverwechselbare „Objektivität“ generiert (im Sinne einer leichten und funktionierenden Verständigung, oder hipper gesagt „Kommunikation“ (in Anlehnung an Schwemmer)). In dieser Situation „steht“ der Mensch im rechten Verhältnis zur Kulturtechnik. Jedoch lässt sich alles steigern, also verbessern oder verschlimmern. Wie anders wird dies alles, wenn der Mensch Prozesse leitet und Ausdrucksprozesse durch Vermittler wählt, die diese Ausgeglichenheit in Frage stellen. Wie anders verhält es sich, wenn der Mensch 1/3 seiner Lebenszeit auf eine Maus klicken muss, um Content zu erstellen oder immer wieder denselben Knopf oder Hebel betätigen muss, um Prozesse in Gang zu setzten, die weder was mit seiner Existenz zu tun haben (höchsten im Haben-Modus (Fromm) oder auf der Konsum-Ebene), noch irgendwelche nachvollziehbaren Prozesse darstellen zu vermögen. Natürlich ist auch der Hebel oder die Maus eine Verlängerung des Armes und damit des Körper: Es ist aber was anderes einen Acker zu bestellen – und zwar auf allen Ebenen – als auf eine Maus zu klicken (und vielleicht einen Acker in einem Browsergame zu „be-stellen“, also einen Content, eine vorprogrammierte Differenz anzufordern). Wie fatal reduziert sind diese Prozesse? Wie soll sich der Mensch hier vernunftgemäß ausdrücken können? Die Digitalen Medien und die damit einhergehenden technischen Errungenschaften stellen und vor neue, nie dagewesene Probleme und Fragen innerhalb einer „Informationsübertragungsgesellschaft“, d. h. eine Gesellschaft, in der Informationen nicht nur „das Maß aller Dinge“ werden, sondern, die auch immer vermittelt, übertragen – und dies zunehmend über digitale Medien – werden bzw. werden müssen. Übrigens auch die Währung der Zukunft sein wird. Natürlich gibt es die Zeitungen noch, aber schon bald werden sie – wie die Sprache – als Verweis verweilen, als Verweis ins Internet, das Leitmedium schlechthin: „Weitere Informationen „stehen“ im Teletext oder Internet für Sie bereit“. Natürlich handelt es sich auch – wie schon bereits erwähnt - bei der Maus um ein Werkzeug, mit dem sich der Mensch ausdrücken kann, aber wie haptisch-arm erscheint diese Möglichkeit, in dem ich mich nur auf einem winzigen Mousepad, auf einer 2-dimensionalen Fläche verhalten kann, ermöglicht durch gerade mal zwei elektronische Zustände (0,1), im direkten Vergleich mit den „Artikulationsmöglichkeiten der Sprache“ oder der Handschrift? Ein Gedicht zu schreiben ist noch immer etwas anderes, als eine diskursiven Werbetext über Möbel, die man wahrscheinlich nie gesehen, gefühlt, ertastet hat, in einem Onlineshop zu „er-stellen“. Auch ein Gedicht mit einer Feder zu schreiben ist etwas anderes, als am PC – mal abgesehen, dass sich bei jedem medialen Prozess, etwas vom Medium mit in die Gedanken „einschreibt“ (Nietzsche). Einer dieser Fragen, die ich sehr wichtig finde, könnte sein: Warum haben unsere technischen Errungenschaften sich immens beschleunigt, verbessert, wobei die Arbeitsbedingungen gleich, wenn nicht sogar schlechter geworden bzw. geblieben sind? Oder mit Rousseau gefragt: Warum geht mit der technischen Entwicklung die moralische Entwicklung zurück?

Die neuronale Ebene habe ich hier vollkommen ausgelassen: Es sollte jedoch klar sein, dass in jedem Gehirn „mehr“ passiert, mehr Verinnerlicht und daher Ausgedrückt werden kann, mehr neuronale Verknüpfungen entstehen, wenn ich mit einem Bleistift zeichne, als wenn ich mit meinem Finger über eine glatten Fläche streichen. Allein die Haptik und der Widerstand des Papiers vergegenwärtigen eine andere Dimension an Qualitäten, die sich nur durch Widerstand  bilden und ausbilden (auch Charakter bekommen) kann (Fichtes „Nicht-Ich“).

Es ist nichts als die Phantasie, die verloren geht, wenn der Mensch sich in einer Situation befindet, wieder findet, in dem er sich eine Medienkultur im digitalen Zeitalter erschaffen hat. Die Bewegung, die eine auf den Körper reduzierte und gleichzeitig stark vereinfachte im allgemeinen ist, geht einher mit einer zunehmenden Passivität einer Gesellschaft, die auf dem esse est percipi-Prinzip funktioniert. Die Aufnahme von Information und das Wissen, wo etwas steht, wie man sich zum Bestand Zugang verschaffen kann ist heute wichtiger als alles andere: Die Historizität uns Sozialität und damit einhergehende Potenzialität des Menschen, der als Augentier, als Teilhaber einer digitalen Welt eine Verarmung des Innerlichen erlebt und noch radikaler erfahren wird bleibt wohl so auf der Strecke. Sozialität besteht im Wesentlichen  nur noch darin sich selbst zu vermarktet (die berühmte „Ich-AG“) und andere darauf aufmerksam zu machen. Mit welchem Ziel? Kontingenz schafft Kontakte, Freundschaften, aber nicht die Inszenierung. Individuell ist heute eine Geste, die jeder Mensch beherrscht – und damit meine ich wirklich jeden Menschen, jede Kultur auf diesem Planeten. Diese Geste ist die, die ich gerade tue, indem ich meine Gedanken ausdrücke. Ich hoffe dass diese Geste nicht noch abstrakter wird und noch positive Aspekte am Leben erhalten wird. Auf die Ambivalenz der Technik wollte ich hier – wie bereits erwähnt – nicht eingehen. Wir bleiben also bei der Frage haften, ob der Mensch noch in der Lage sein wird, eine vernünftigen Weg zu finden, sich als Ausdruckswesen Ausdruck verschaffen zu können, einen Ausdruck mit individueller, subjektiver Qualität und nicht Einen, der aus dem Drucker erzeugt – also nicht „her-vor-gebracht“ – wird. Leben wir nicht ein irrationales Verhältnis unter dem Deckmantel der Rationalität zur Technik? Der Mensch waltet fast nicht mehr, er tut nichts, außer zu stellen und aus diesem Bestand heraus aktiv zu sein. Diese Form der Aktivität hat Erich Fromm ausgiebig beschrieben und es ist wohl kein Geheimnis, dass diese Form der Aktivität, nicht im geringsten etwas mit unserem Innenleben, unserer ganzen Existenz zu tun hat, sondern diese eher stumm werden lässt, abtötet und kein - wie Heidegger gesagt – Hervorbringen – poesis - ist